Diese technischen Entwicklungen könnten durch die Corona-Krise vorangetrieben werden.
So verängstigend und verheerend eine Krise ist – sie hat das Potential, Entwicklungen in einer Gesellschaft schneller voranzutreiben. Welche Entwicklungen das meiner Meinung nach sein könnten und wo sich neue Chancen für technische Innovationen ergeben:
1. Homeoffice
Für die einen war Homeoffice schon vor der Corona-Krise ein fester Bestandteil ihrer Arbeit, für viele andere ist es jedoch eine neue Erfahrung. Die Flexibilität, die das Homeoffice mit sich bringt, kann befreiend sein, aber auf Dauer birgt sie auch neue Herausforderungen. Die Grenze zwischen Arbeit und Freizeit verwischt und Selbstdisziplin wird zum entscheidenden Faktor.
Konferenz-Tools boomen momentan, allerdings könnte dies erst der Anfang sein. Alle Anwendungen, die das Homeoffice unterstützen, haben hier großes Potential, das Leben vieler Menschen einfacher zu machen – ganz egal ob sie z. B. den Austausch zwischen Kollegen oder die Gesundheit im Homeoffice fördern.
2. Digitalisierung der Lehre
Ob in der Schule oder der Universität: Lange hatte man den Eindruck, dass Deutschland die Digitalisierung der Lehre verschlafen hat. Die Corona-Krise jedoch rüttelt das deutsche Bildungssystem wach und plötzlich müssen Schüler und Studierende zu Hause mit Lernstoff versorgt werden und ihre Lernphasen mehr denn je eigenständig planen.
Interessant werden könnten hier z. B. alle Tools, die die Kommunikation zwischen Lernenden und zwischen Lehrern und Lernenden erleichtern, Lernmaterialien anschaulich bereitstellen oder die Selbstorganisation und das selbstständiges Lernen fördern. Auch ein digitales Klassenzimmer wäre denkbar.
3. Alltagsprodukte online kaufen
In der Corona-Krise sind Lebensmittel-Lieferdienste stark nachgefragt und es ist schwierig, überhaupt einen der begehrten Liefertermine zu bekommen – und das, obwohl Lebensmittel-Lieferdienste bisher in Deutschland eher nur zögerlich in Anspruch genommen wurden. Ein naheliegender Grund ist, dass momentan viele Menschen versuchen, so wenig wie möglich vor die Tür zu gehen. Es ist aber wahrscheinlich, dass der Trend auch nach der Krise anhalten wird, da viele Menschen nun ihre Hemmschwelle und ihre Vorurteile gegenüber Lebensmittel-Lieferdiensten abgebaut haben und die Vorteile schätzen lernen. Aber nicht nur Lebensmittel, sondern auch andere Produkte des täglichen Gebrauchs wie z. B. Drogerieprodukte oder Briefmarken werden immer mehr online eingekauft.
Schnelle Lieferketten, pfiffige Online-Shopping Experiences, engere Kooperationen mit den Händlern vor Ort – das könnten die Erfolgsfaktoren von morgen sein. Dementsprechend werden Konzepte gefragt sein, die es erlauben, schnell und einfach Alltagsprodukte online zu bestellen.
4. Online-Shopping-Boom
In einer Zeit, in der die Menschen Angst haben, vor die Haustür zu gehen, werden sie mehr und und mehr online shoppen statt ausgiebige Shopping-Trips in gut belebten Einkaufsstraßen auszukosten. Hiervon profitieren aktuell vor allem die großen Versandhändler und die lokalen Händler fürchten aufgrund von temporären Schließungen und Einschränkungen um ihre Existenz.
Insbesondere lokale, kleinere Händler müssen sich überlegen, wie sie Konzepte entwickeln, um konkurrenzfähig zu bleiben. Es gibt bereits Geschäfte, die Video-Chat-Beratung für ihre Kunden anbieten und die die gewünschten Produkte anschließend an ihre Kunden versenden. Das große Plus dieser Händler: die Nähe zum Kunden und die persönliche Beratung. Es könnten sich auch Handelsplattformen mit lokalen Händlern innerhalb von einzelnen Städten entwickeln. Aber auch die großen Versandhändler könnten überlegen, wie sie ihre Online-Shopping-Experiences mehr und mehr ausbauen – insbesondere in Hinblick auf Produkte, die normalerweise lieber von den Kunden im stationären Handel gekauft werden.
5. Do not touch: Mehr Sprach- und Gesten-Interfaces
Aktuell gilt es, besser mit wenigen Oberflächen im öffentlichen Raum (z. B. im Bus oder im Supermarkt) in Kontakt zu kommen, um Schmierinfektionen zu vermeiden. Grundsätzlich war Hygiene auch vor der Corona-Zeit schon eine gute Idee, um sich vor Krankheitserregern zu schützen, allerdings ist dies jetzt mehr denn je in die Köpfe der Menschen eingebrannt.
Hiermit sind gute Bedingungen für die weitere Verbreitung von Sprach- und Gesten-Interfaces im öffentlichen Raum geschaffen, die direkte Berührungen vermeiden können. Ein paar Klassiker wie Lichtschalter mit Bewegungsmelder oder berührungslose öffentliche Toiletten gibt es bereits seit einiger Zeit – aber wie wäre es mit einem Sprach-Interface beim Abwiegen von Obst und Gemüse oder beim Checkout an der Selbstbedienungskasse? Oder mit dem Öffnen von Türen mit einer Geste? Auch Technologien wie RFID-Chips könnten hier zur Identifizierung zum Einsatz kommen.
6. Bargeldloses Bezahlen
Wir Deutschen sind dafür bekannt, dass wir unser Bargeld lieben. Jedoch ist Bargeld in letzter Zeit als idealer Viren- und Bakterientummelplatz in Verruf geraten und auch beim Abheben von Geld an öffentlichen Bankautomaten macht sich ein mulmiges Gefühl breit. Im Moment erscheint es sinnvoll, Bargeld lieber zu meiden und stattdessen auf Überweisungen und kontaktloses Bezahlen umsteigen.
Diese Entwicklung könnte neue Bezahlmethoden vorantreiben wie z. B. das kontaktlose Bezahlen mit dem eigenen Smartphone (wie es in China bereits üblich ist) oder ähnliche raffinierte Systeme. Die Themen Sicherheit und Vertrauen werden hier eine ausschlaggebende Rolle spielen.
7. Mehr virtuelle Treffen mit Freunden
Über viele Wochen mussten Freundeskreise auf persönliche Treffen verzichten und lagern diese immer mehr in virtuelle Konferenz-Tools aus. Eine Einsicht dabei in den vergangenen Wochen: Man sieht sich teilweise sogar öfter als im normalen Leben, vor allem wenn die räumliche Distanz zwischen den Freunden sonst sehr groß ist.
Interessant wären hier Tools, die virtuelle Freundestreffen noch spaßiger machen, indem sie diese z. B. mit Spielen anreichern, zu gemeinsamen Aktivitäten animieren oder auch random neue Menschen zum Treffen hinzufügen. Hier sind der Kreativität keine Grenzen gesetzt.
8. Menschen verbinden
Das Unwort des Jahres heißt für viele bereits jetzt „Selbst-Quarantäne“, auch bekannt unter dem Hashtag #StayAtHome. Es ist eine der größten Herausforderungen dieser Tage, mit dieser Art der Selbst-Isolation und Kontaktsperre zurechtzukommen. Und es gibt zahlreiche Singles in Deutschland, die seit Wochen kaum direkten menschlichen Kontakt hatten.
Auch hier könnten Tools eingesetzt werden, die wieder mehr menschliche Nähe in die eigenen vier Wände bringen. Interaktive Gegenstände, die auf die Präsenz einer anderen Person hindeuten, neue Arten des Online-Datings oder das Einbinden von Freunden über Netzwerke (z. B. beim Spielen oder beim Fernsehen) könnten hier wieder etwas mehr Nähe schaffen.
9. Virtuelle Arztpraxis
Es gibt wohl kaum einen Ort, der aktuell mehr gefürchtet wird, als ein mit hustenden und schniefenden Patienten gefülltes Wartezimmer beim Arzt, aus dem man eventuell kränker herauskommt als man hereingekommen ist. Ein wenig hatte einen dies auch schon vor Corona geärgert, aber die Grippesaison war doch nicht so respekteinflößend wie Corona. Die Maßnahme der Regierung, dass Krankschreibungen momentan auch per Telefon möglich sind, scheint hier aktuell sehr sinnvoll.
Wenn man das Prinzip weiterdenkt, sitzt man schnell in der virtuellen Arztpraxis für Erkrankungen, die nicht direkt eine körperliche Untersuchung voraussetzen. Wie ein grippaler Infekt, ein verdorbener Magen oder wiederkehrende Rückenschmerzen. Der Arzt schickt die Krankmeldung mit einem Klick direkt aus dem Online-Konferenz-Tool an die Krankenkasse und den Arbeitgeber und das Rezept weiter an die Apotheke, die das benötigte Medikament dann vor die Haustür liefert. Schön, so ein Arztbesuch!
10. Digitale Fitness
Das lokale Fitnessstudio hat geschlossen, die Laufgruppe ist abgesagt – und jetzt? Es gibt zahlreiche Online-Angebote und Gadgets, um in der Krise fit zu bleiben. Vom digitalen Fitnessstudio, über die Running-App, die die Zeiten der zurückgelegten Laufstrecke mit Freunden vergleicht, oder den Fitness-Tracker für genügend Schritte am Tag. Digitale Fitness hat momentan Hochkonjunktur.
Und trotzdem gibt es hier noch viel Entwicklungspotential wie z. B. mehr Live-Streams zu gemeinsamen Fitness-Workouts (auch von lokalen Fitnessstudios) und Mittel zur besseren Eigenmotivation. Vor allem das virtuelle Zusammenbringen von Gleichgesinnten könnte hier interessant werden.
11. Mehr Entertainment zu Hause
Die Spielekonsole Nintendo Switch ist seit Anfang April nahezu überall ausverkauft. Scheinbar spielen hier auch Lieferengpässe eine Rolle, aber generell ist es nicht überraschend, dass Spielekonsolen aktuell zum begehrten Objekt werden. Denn viele Menschen (darunter auch viele Kinder) sitzen aktuell zu Hause und haben viel Zeit übrig. Es ist absehbar, dass Gaming in der nächsten Zeit für viele Menschen zu einem neuen Hobby werden könnte. Vor allem auch für die junge Generation, die jetzt vermehrt vor der Konsole sitzt.
Auch andere Arten des Home-Entertainments wie z. B. die Einrichtung eines Heimkinos könnten in naher Zukunft gefragter sein denn je. Streaming-Dienste gehören für viele Menschen ohnehin schon zum Alltag. Aber eventuell könnten die Kino-Blockbuster des Jahres dieses Jahr ebenfalls in den eigenen vier Wänden Prämiere feiern.
Es wird wohl eine ansteigende Nachfrage an Entertainment-Produkten geben. Eventuell erleben auch VR- und AR-Brillen einen neuen Aufschwung.
12. Reisen durch virtuelle Realitäten
Zum Schluss noch ein Gedanke zum Schmunzeln, der aktuell noch ein wenig nach Science Fiction klingt, in der Umsetzung aber zum Greifen nah ist. Da das Reisen aktuell und vermutlich auch noch für längere Zeit tabu ist oder zumindest von einem unsicheren Gefühl begleitet sein wird, könnte die große Stunde der VR-Brillen schlagen. Auf diese Weise könnte man durch verschiedene Städte schlendern und einen Eindruck erhaschen, ohne sich einem Risiko auszusetzen. Die Technik und die Systeme sind bereits vorhanden, sie haben sich bislang nur noch nicht durchgesetzt. Eventuell könnte Corona das ändern.
Niemand weiß aktuell, wie lang sich die Corona-Krise hinziehen wird. Allerdings werden wir die Erfahrungen, die wir bis zum heutigen Tag gemacht haben, nicht so schnell wieder vergessen. Die Prinzipien von Hygiene und #StayAtHome sind erstmal in unseren Köpfen verankert.
Wir als Gestalter von interaktiven Systemen haben es mit in der Hand, wertvolle Lösungen für unsere Gesellschaft zu entwickeln. Lasst uns kreativ sein und einen Beitrag leisten, um das beste aus der Situation zu machen und Innovationen voranzutreiben.